Seit einem halben Jahr kommt es in Marburg zu einer erhöhten Zahl an kleineren Naziaktivitäten. Aufkleber freier Kameradschaften finden sich in der Stadt, Mobilisierungsmaterial zum Naziaufmarsch in Dresden liegt in der Mensa und Neonazi-Burschenschafter drehen eine Fackelmarschrunde auf dem Schlossberg. Diese Beobachtungen können durch eine Entwicklung erklärt werden – Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum finden bei den radikalisierten rechten Burschenschaften Germania und Rheinfranken einen neuen Anlaufpunkt in der Stadt Die akademische extreme Rechte und die klassischen Neonazis sind kaum noch zu unterscheiden.
Burschikose Allianzen – „Neue“ Rechte und Kameradschaftsnazis Hand in Hand
Die beiden Burschenschaften sind seit jeher der extremen Rechten zuzuordnen – mittlerweile ist jedoch der ehemalige Unterschied zum organisierten Neonazismus nicht mehr erkennbar. Nicht nur an den Aktivitäten der Burschenschaft in sozialen Netzwerken ist das abzulesen. Hier ist nicht nur der Inhalt ein Potpourri aus Neurechten und Neonaziveröffentlichungen – schon 2011 wurde eine geplante Veranstaltung vom Neonaziideologen Pierre Krebs, der sonst auf Rechtsrockfestivals im Eichsfeld spricht, verhindert. Auch Personell: Aktivisten aus der NPD, wie Daniel Lachmann, und Kameradschaftsszene, wie Alexander Schnell, kündigen sich wohlwollend zu Veranstaltungen an. Digital ist die Burschenschaft Germania auch ganz ungezwungen mit dem Kameradschaftsnetzwerk „Freies Netz Hessen“ befreundet – man mag sich offensichtlich. Gleichzeitig ist eine starke Vernetzung in die neurechte Szene zu beobachten. Der intellektuelle Ableger des Neonazismus unter dem Mäntelchen des Konservatismus ist fester Bestandteil der Burschenschaften – welche Vortragsveranstaltungen organisieren und mehrere Autoren für den neurechten Blätterwald stellen.
Gerade die Person Philip Stein, Aktivensprecher und Schriftwart der Burschenschaft Germania, ist stark mit der Neuen Rechten um den Publizistenkreis Felix Menzel und Götz Kubitschek vernetzt. Er schreibt zahllose Artikel für nahezu alle neurechte Organe und veröffentlichte Ende 2013 ein Buch mit Menzel. Der dünne Band fantasiert eine rechte und nationalistische Revolution herbei und erschien im Eigenverlag der extrem rechten Zeitschrift „Blauen Narzisse“. Er ist weiterhin Organisator und Koordinator für Vortragsveranstaltungen und nimmt als Sprecher eine zentrale Rolle in den Aktivitäten der Burschenschaft ein. Stein studiert Geschichte an der Uni Marburg, stammt aus dem nahen Schwalm Eder Kreis. Nicht nur als zentrale Schlüsselperson der Neurechten Szene in Marburg wurde er auffällig, die Vernetzung in die Neonaziszene wird immer offensichtlicher: Im Februar 2014 verteilte er Werbematerial zum Neonaziaufmarsch in Dresden, gemeinsam mit Adrien Volkmann, Nico Pellkofer und Axel Ziemann. Er wohnt zur Zeit im Haus der Germania in der Lutherstr.3.
Auch der schon Anfang 2013 in die Öffentlichkeit gezerrte Marcel Grauf bestätigt das Bild der Germania. Der ebenfalls in der Lutherstraße 3 wohnhafte Grauf ist aktiver Bursche und NPD Mitglied.
Der ehemalige Aktivensprecher und jetzige Fechtwart der Burschenschaft Rheinfranken, Adrien Marius Volkmann ist zwar ob seiner Fülle und farbenfroher Kleidung nicht ganz so öffentlich wahrnehmbar, allerdings schon seit Jahren der maßgebliche Akteur der Neonazi-Burschenschaft Rheinfranken. Der aus dem Lahn Dill Kreis stammende Volkmann bekleidete in seiner langjährigen Tätigkeit alle möglichen führenden Funktionen der Burschenschaft. Unüblicherweise wohnt er immer noch im Haus der Rheinfranken in der Lutherstraße 5. Sein Studium scheint nicht so erfolgreich zu laufen – seit 2009 ist er als Jurist eingeschrieben. Weiterhin ist er mehrfach Autor der Blauen Narzisse. Auch Volkmann scheint der Neonaziszene nicht abgetan zu sein, 2013 versuchte er eine antifaschistische Filmvorführung zu stören – Folgerichtig war er im Februar 2014 dann auch zur Stelle, als Werbung für den Naziaufmarsch in Dresden gemacht werden musste.
Den Verbindungen ist es offenbar am organisierten Zuzug von Neonazis mit Kameradschaftsanbindung in Verbindungshäuser gelegen. Die Überschneidungen ins Kameradschaftsspektrum sind offensichtlich. So entpuppt sich der Seitenarm der Lutherstraße mehr und mehr zum Nazitreff.
Neues Mitglied der Rheinfranken ist beispielsweise Axel Ziemann. Der aus Wiesbaden zugezogene junge Aktivist ist in der Vergangenheit auf diversen Neonazidemonstrationen zu sehen gewesen und filmte fleißig Nazigegner. So auf rechten Demonstrationen in Wiesbaden 2010, Alzey 2010, Worms 2012 und Heidelberg 2012. Der Sohn des AFD-Ausgestoßenen Peter Ziemann betreute zudem mehrere Neonaziportale hauptverantwortlich – „jugendbrauchtzukunft“ und „widerstand.us“. Mittlerweile studiert der jungrechte Aktivist Jura an der Universität Marburg im 2. Semester. Obwohl er sich nach außen gemäßigt gibt, nahm auch er an der Verteilaktion für den Neonaziaufmarsch in Dresden teil. Auch die Wahl der Verbindung und die Freundschaft zu Bastian Löhr legt keinen größeren Bruch in seiner Gesinnung nahe.
Ein weiteres Rheinfranken Mitglied ist der Jurastudent Bastian Löhr, zur Zeit wohnhaft in der Lutherstraße 5. Er war bis zu seinem Umzug nach Marburg ein Kader der gewalttätigen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Unna“ in Nordrhein Westfalen – mittlerweile ist er Schriftführer der Burschenschaft Rheinfranken. Neben der Teilnahme an zahlreichen Neonaziaufmärschen wurde er wegen Hakenkreuzschmierereien in Unna festgenommen und zu Sozialstunden verurteilt. Doch damit nicht genug, Löhrs Aktivitäten beschränkten sich nicht nur auf Sachbeschädigungen. Beteiligt war er auch an Übergriffen auf die DBG-Demonstration am 01.05.2009, zusammen mit einem weiteren bekannten Mitglied des „Nationalen Widerstand Unna“. Damals wurde Bastian Löhr nach dem Angriff mit einer Gruppe anderer Neonazis beim Fluchtversuch von der Polizei festgesetzt. Als neonazistischer Kader formulierte er schon 2011: „Studieren, am liebsten Jura.“ Als juristischer Beistand der aktiven militanten Neonaziszene unter die Arme greifen – eine beliebte Taktik bei Neonazis. Er ließ den Worten Taten folgen, mittlerweile ist Bastian Löhr Jurastudent im 4. Semester an der Universität Marburg. Auch sonst kann von keinem Bruch in seiner Gesinnung ausgegangen werden, das Sammelbecken des Neonazismus in Marburg ist um einen Aktivisten reicher.
Es kommt zusammen was zusammen gehört
Ein weiterer Aktivist ist Nico Pellkofer aus Oberweimar, im Elbertswald 20. Pellkofer wurde schon vor einigen Jahren in einer rechtsoffenen Oi-Skin Clique auffällig zu der auch der spätere Neonazi Lukas Reuter gehörte. In sozialen Netzwerken tritt er als Fan von Rechtsrockbands auf. Mittlerweile ist Pellkofer der Division Mittelhessen zuzurechnen. Die Division Mittelhessen ist eine rechte Kirmeskameradschaft, die durch den Aufschwung der Nazistrukturen um die JN Lumdatal eine neue aktivistische Ausrichtung und Personal erhielt. Sie hat eine Anbindung an das Kameradschaftsnetzwerk „FN Hessen“. Auch Pellkofer geht im Nazitreff der Lutherstraße 3/5 ein und aus, zuletzt verteilte er gemeinsam mit den Aktivensprecher der Germania Marburg, Philip Stein und den Rheinfranken Volkmann und Ziemann das erwähnte Werbematerial zum Naziaufmarsch in Dresden.
Zum Kreis der „Division“ gehört neben Reuter und Pellkofer auch der Neonazi Nils Rösser, anzutreffen bei seinen Eltern in der Wehrdaer Straße 50 in Marburg-Wehrda, der beste Kontakte in die subkulturelle Neonaziszene des Landkreises Vogelsberg pflegt. Rösser ist mit dem Vogelsberger Gründungskreis der „Division Mittelhessen“, deren Gründung schon ins Jahr 2008 zurückgeht, verbandelt und war unter anderem auf einem Event der harten Neonaziszene in Gera „Rock für Deutschland“ 2012 zugegen. Er versuchte 2013 zusammen mit Nico Pellkofer die Aufführung des antifaschistischen Films „Blut muss fließen“ zu stören, was allerdings dank antifaschistischer Intervention mißlang.
Nicht nur die Kameradschaft Division Mittelhessen scheint im Nazitreff Lutherstraße ein und aus zu gehen, der Autonome Nationalist Danny Wolff aus Wetzlar twitterte im Februar 2014 offenbar völlig verstört dass „Antifas“ die Lutherstraße entlangflanieren. Die AN Wetzlar sind eine Nazigruppe, die bis 2010 massiv Gewalttaten auf Nazigegner verübte.
Nazitreff Lutherstraße?
Die Aufkleberaktionen, radikalisierten Aktionsformen wie Fackelmärsche und die Werbeaktion zum Naziaufmarsch in Dresden sind das Werk eines Konglomerats aus Kameradschafts-Neonazis und Neonazi-Burschenschaftern die im Detail kaum noch auseinander zu halten sind. Die Aktionen stehen zudem auch nicht allein – das Kameradschaftsnetzwerk FN Hessen und die Jugendorganisation der NPD versuchten im Februar 2014 hessenweit mit Aktionen von Neonazis den Aufmarsch in Dresden zu bewerben. Die Marburger reihten sich stillschweigend in diese Kampagne ein.
Der aktuell aktive Personenkreis der Kameradschaft Division Mittelhessen und das Personal der Naziburschenschaften Rheinfranken und Germania sind eng verbunden. Die Liste ist nicht vollständig, sicher ist allerdings: Neonazis aller Couleur haben einen Anlaufpunkt und Wohnort in der Studentenstadt Marburg – die Lutherstraße 3 und 5.